More Info zum Urteil des EuGH vom 01.12.2020 – C-815/18

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Grenzüberschreitende Entsendung von Kraftfahrern

EuGH Urteil vom 01.12.2020 – C-815/18


Sachverhalt: Wann liegt eine Entsendung im grenzüberschreitenden Güterverkehr vor?

Im vorliegenden Fall handelt es sich um Kraftfahrer aus Deutschland und Ungarn, die im Rahmen von Charterverträgen im grenzüberschreitenden Güterverkehr für eine niederländische Schwestergesellschaften tätig sind.


In der Regel fand die Vercharterung ab Erp (Niederlande) statt, und die Fahrten endeten dort auch. Die meisten durchgeführten Beförderungen fanden jedoch außerhalb des Hoheitsgebiets des Königreichs der Niederlande statt.


In dem für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitraum fand in den Niederlanden der Tarifvertrag für den Güterverkehr Anwendung, der nicht für allgemeinverbindlich erklärt wurde. Gleichwohl gab es einen weiteren Tarifvertrag für den gewerblichen Güterkraftverkehr, der für allgemeinverbindlich erklärt wurde.


Der Erlass des Ministers für Soziales und Arbeit befreite jedoch die unter den Tarifvertrag für den Güterverkehr fallenden Unternehmen von der Anwendung des Tarifvertrags für den gewerblichen Güterkraftverkehr. Diese Befreiung galt u. a. für die niederländische Gesellschaft. Allerdings sah der Tarifvertrag für den Güterverkehr vor, dass auch von Nachunternehmen eingesetzte Arbeitnehmer im Falle einer Entsendung nach der Richtlinie 96/71/EG die Arbeitsbedingungen des Tarifvertrages erhalten sollten. Die drei Schwestergesellschaften lehnten für die deutschen und die ungarischen Fahrer eine Entsendung ab. Aus diesem Grund wurden die grundlegenden Arbeitsbedingungen, wie sie im Tarifvertrag für den Güterverkehr festgelegt waren, auf die Fahrer aus Deutschland und Ungarn nicht angewandt.


Die niederländische Gewerkschaft erhob gegen die drei Schwertergesellschaften eine Klage, mit der sie beantragte, diese Gesellschaften zur Einhaltung des Tarifvertrags für den Güterverkehr zu verpflichten.


Die Sache kam letztendlich zum Obersten Gerichtshof der Niederlande, der das Verfahren aussetzte und dem EuGH zur Anwendung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern anrief.

 

Geltung der Richtlinie für Entsendungen im Straßenverkehrssektor

In seinem Urteil führte der EuGH aus, dass die Richtlinie 96/71/EG auf die länderübergreifende Entsendung im Straßenverkehrssektor anwendbar ist.

 

Sie gilt grundsätzlich für jede länderübergreifende Erbringung von Dienstleistungen, die mit einer Entsendung von Arbeitnehmern verbunden ist, unabhängig davon, zu welchem Wirtschaftssektor eine solche Dienstleistung gehört, also auch im Straßenverkehrssektor.

Vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie sind nur solche Dienstleistungen ausgeschlossen, an denen die Schiffsbesatzungen von Unternehmen der Handelsmarine beteiligt sind.


Wann liegt eine Entsendung bei Kraftfahrern vor

Gemäß Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie „gilt als entsandter Arbeitnehmer jeder Arbeitnehmer, der während eines begrenzten Zeitraums seine Arbeitsleistung im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als demjenigen erbringt, in dessen Hoheitsgebiet er normalerweise arbeitet“.

 

Ein Arbeitnehmer kann im Hinblick auf die Richtlinie 96/71/EG nur dann eine Entsendung für sich in Anspruch nehmen, wenn seine Arbeitsleistung eine hinreichende Verbindung zu diesem Hoheitsgebiet aufweist, was eine Gesamtwürdigung aller Gesichtspunkte voraussetzt, die die Tätigkeit des betreffenden Arbeitnehmers kennzeichnen.


Bei mobilen Arbeitnehmern wie im grenzüberschreitenden Verkehr tätigen Kraftfahrern ist für eine Entsendung von Bedeutung, wie eng die Verbindung zwischen den Tätigkeiten, die ein solcher Arbeitnehmer im Rahmen der Erbringung der ihm zugewiesenen Beförderungsleistung verrichtet, und dem Hoheitsgebiet jedes betroffenen Mitgliedstaats ist.


Das Gleiche gilt für den Anteil dieser Tätigkeiten an der Gesamtheit der betreffenden Dienstleistungen. Insoweit sind das Be- oder Entladen von Waren, die Instandhaltung oder die Reinigung von Transportfahrzeugen von Bedeutung für eine Entsendung, sofern sie tatsächlich von dem betreffenden Fahrer und nicht von Dritten durchgeführt werden.


Dagegen liegt eine Entsendung nicht vor, wenn ein Arbeitnehmer, Leistungen von sehr beschränktem Umfang erbringt. Dies gilt etwa für einen Fahrer, der das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats im Rahmen eines Gütertransports auf der Straße nur durchquert. Gleiches gälte für einen Fahrer, der lediglich einen grenzüberschreitenden Transport vom Sitzmitgliedstaat des Transportunternehmens bis zum Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats oder umgekehrt durchführt.


Die Tatsache, dass ein im grenzüberschreitenden Verkehr tätiger Kraftfahrer einem Entleiher aus einem anderen Mitgliedsstaat überlassen wurde, von ihm die mit seinen Aufgaben zusammenhängenden Anweisungen erhält und die Ausführung seiner Aufgaben am Sitz des Entleihers beginnt oder dort beendet, reicht für sich genommen nicht für eine Entsendung aus. Die Arbeitsleistung dieses Fahrers muss vielmehr aufgrund anderer Faktoren eine hinreichende Verbindung zu diesem Mitgliedstaat aufweisen.


Der EuGH stellte außerdem fest, dass das Bestehen eines Konzernverbunds zwischen den Unternehmen, die Parteien des Arbeitnehmerüberlassungsvertrages sind, als solches für die Beurteilung, ob eine Entsendung von Arbeitnehmern vorliegt, nicht relevant ist.

 

Entsendung auch bei Kabotagebeförderungen

Das vorlegende Gericht fragte den EuGH ferner über die Anwendung der Richtlinie 96/71/EG für Kabotagebeförderungen. Hierzu stellte der EuGH fest, dass die Richtlinie 96/71/EG auch für Verkehrsunternehmen gilt, die Kabotagebeförderungen durchführen. Unter Kabotagenbeförderungen ist ein gewerblicher innerstaatlicher Verkehr gemeint.


Der EuGH führte aus, dass die Verkehrsunternehmer berechtigt sind, im Aufnahmemitgliedstaat bis zu drei Kabotagebeförderungen im Anschluss an eine grenzüberschreitende Beförderung in diesen Staat innerhalb von sieben Tagen nach der letzten Entladung der in diesen Staat eingeführten Lieferung durchzuführen.


Die Arbeitsleistung des Fahrers im Rahmen solcher Beförderungen weist eine hinreichende Verbindung zu diesem Hoheitsgebiet auf. Daher kann ein Fahrer, der solche Beförderungen durchführt, grundsätzlich die Richtlinie 96/71/EG über Entsendungen für sich in Anspruch nehmen.


Die Dauer der Kabotagebeförderungen ist für die Beurteilung des Vorliegens einer solchen Entsendung unerheblich.


Ist die Frage, ob ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt worden ist, anhand des anwendbaren nationalen Rechts zu beurteilen?

Diese Frage hat der EuGH bejaht. Eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung kann nur nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats erfolgen. In Bezug auf die Anwendung des Tarifvertrages führte der EuGH noch folgendes aus.


Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die im Güterverkehrssektor tätigen Unternehmen unter den Tarifvertrag für den Güterverkehr fallen. Zwar ist dieser Tarifvertrag als solcher nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden. Gleichwohl war seine Einhaltung Voraussetzung für die Befreiung von der Anwendung des Tarifvertrags für den gewerblichen Güterkraftverkehr, der seinerseits für allgemeinverbindlich erklärt worden war. Außerdem war der Inhalt der Bestimmungen dieser beiden Tarifverträge praktisch identisch. Die Einhaltung dieser Bestimmungen erscheint somit für alle im Güterverkehrssektor tätigen Unternehmen als verbindlich.


Fazit: Entsendung eines Kraftfahrers in einen EU-Mitgliedstaat benötigt eine hinreichende Verbindung zu diesem Mitgliedstaat

Aus dem Urteil des EuGH wird ersichtlich, dass Kraftfahrer, die im grenzüberschreitenden Güterverkehr tätig sind, unter die Vorschriften zur Entsendung fallen, wenn sie eine hinreichende Verbindung zu diesem Mitgliedstaat aufweisen. Beispielsweise ist dies der Fall, wenn solche Fahrer im Anschluss an eine grenzüberschreitende Beförderung bis zu drei innerstaatliche Kabotagebeförderungen in diesem Mitgliedstaat durchführen. Demgegenüber ist keine Entsendung anzunehmen, wenn der Fahrer das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats im Rahmen eines Gütertransports auf der Straße nur durchquert oder wenn er lediglich einen grenzüberschreitenden Transport durchführt. Wenn Kraftfahrer in einem Mitgliedstaat als entsandt anzusehen sind, finden auf sie die tariflichen Regelungen dieses Mitgliedstaates, die für allgemeinverbindlich erklärt worden sind, Anwendung.


 

siehe auch unter: https://protag-law.com/grenzueberschreitende-entsendung-von-kraftfahrern-eugh-urteil-vom-01-12-2020-c-815-18/

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