Freie Tätigkeit oder abhängige Beschäftigung einer Grafikdesignerin
BAG Urteil vom 25.08.2020 – 9 AZR 373/19
Sachverhalt: Ist eine Rundfunkanstalt aufgrund der Rundfunkfreiheit berechtigt, eine Grafikdesignerin als Selbstständige einzusetzen?
Im vorliegenden Fall geht es um die Frage, ob eine Grafikdesignerin als Selbstständige oder als Arbeitnehmerin tätig ist.
Seit dem Jahr 1998 erbringt die Klägerin für die Beklagte, eine Rundfunkanstalt des öffentlichen Rechts, tageweise Dienste im Bereich „Grafik und Design“. Einen schriftlichen Vertrag haben die Parteien nicht geschlossen. Die klagende Grafikdesignerin berechnet für ihre Dienste Tagesgagen auf der Grundlage entsprechender „Honorarabrechnungen“.
Die Grafikdesignerin sah sich nicht als Selbstständige. Sie vertrat die Auffassung, dass sie im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses bei der Beklagten tätig sei, weil sie in die Arbeitsorganisation der Beklagten örtlich und zeitlich eingebunden sei und fachlich weisungsgebunden arbeite.
Die Beklagte war jedoch der Ansicht, es stehe ihr aufgrund des Grundrechts der Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) frei, die klagende Grafikdesignerin als Selbstständige zu beschäftigen.
Nachdem das Arbeitsgericht der Klage stattgab und das LAG die Berufung der Beklagten zurückwies, legte die Beklagte die Revision ein.
Entscheidung des BAG: Grafikdesignerin ist keine Selbstständige sondern eine Arbeitnehmerin
Das BAG kam zu dem Ergebnis, dass das Rechtsverhältnis zwischen der Grafikdesignerin und der Rundfunkanstalt ein Arbeitsverhältnis seit dem Jahr 1998 darstellt.
In Bezug auf den Vertragsschluss führte das BAG aus, dass ein Vertrag durch übereinstimmendes schlüssiges Verhalten (Realofferte und deren konkludente Annahme) zustande kommen kann. Wie im Streitfall ist dies insbesondere dann anzunehmen, wenn die Parteien über einen Zeitraum von mehreren Jahren einvernehmlich Dienstleistung und Vergütung austauschen. Die Klägerin ist für die Beklagte seit dem Jahr 1998 als Grafikdesignerin tätig, und die Beklagte hat ihr dafür Vergütung gezahlt sowie weitere vertragliche Leistungen erbracht. Daher kam der Vertragsschluss zwischen den Parteien bereits im Jahr 1998 zustande.
Abgrenzung einer selbstständigen Tätigkeit von einem Arbeitsverhältnis
In seinem Urteil erläuterte das BAG die Grundsätze für die Abgrenzung einer selbstständigen Tätigkeit von einem Arbeitsverhältnis.
Danach ist Arbeitnehmer, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Dementsprechend ist ein Arbeitsverhältnis anzunehmen, wenn die Leistung von Diensten nach Weisung des Dienstberechtigten und gegen Zahlung von Entgelt Schwerpunkt des durch privatrechtlichen Vertrag begründeten Rechtsverhältnisses ist. Ein Arbeitsverhältnis unterscheidet sich demnach von dem Rechtsverhältnis eines Selbstständigen durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, in der sich der Verpflichtete befindet. Das für ein Arbeitsverhältnis konstitutive Weisungsrecht des Arbeitgebers kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Letztlich kommt es für die Beantwortung der Frage, welches Rechtsverhältnis im konkreten Fall vorliegt, auf eine Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls an
Rundfunkfreiheit gibt größere Freiheit beim Einsatz von Selbstständigen
Diese maßgeblichen Grundsätze haben die Gerichte für Arbeitssachen im Bereich Funk und Fernsehen unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Gewährleistungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG anzuwenden.
Die Rundfunkfreiheit erstreckt sich auch auf das Recht der Rundfunkanstalten bei der Auswahl, Einstellung und Beschäftigung derjenigen Mitarbeitern Rechnung zu tragen, die bei der Gestaltung der Programme mitwirken sollen. Der Schutz der Rundfunkfreiheit verlangt die Auswahl der an der inhaltlichen Gestaltung der Sendungen mitwirkenden Mitarbeiter. Daraus folgt die freie Entscheidung darüber, ob Mitarbeiter fest angestellt werden oder ob Selbstständige eingesetzt werden. Dies ist dann angezeigt, wenn ihre Beschäftigung aus Gründen der Programmplanung auf eine gewisse Dauer oder ein gewisses Projekt zu beschränken ist. Ebenso bedingt der Schutz der Rundfunkfreiheit wann, wie oft oder wie lange ein Mitarbeiter benötigt wird. Dies schließt die Befugnis ein, bei der Begründung von Mitarbeiterverhältnissen den insoweit jeweils geeigneten Vertragstyp zu wählen.
Allerdings ist die Rundfunkfreiheit über die Auswahl, Einstellung und Beschäftigung über die Vertragsgestaltung entscheiden zu können, auf programmgestaltende Mitarbeiter beschränkt. Die „programmgestaltenden“ Rundfunkmitarbeiter wirken an Hörfunk- und Fernsehsendungen inhaltlich gestaltend mit. Typischerweise bringen sie eigene Auffassung zu politischen, wirtschaftlichen, künstlerischen oder anderen Sachfragen, ihre Fachkenntnisse und Informationen, ihre individuelle künstlerische Befähigung und Aussagekraft in die Sendung ein. Dies ist beispielsweise bei Redakteuren, Regisseuren, Moderatoren, Reportern, Berichterstattern, Kommentatoren, Wissenschaftlern und Künstlern der Fall. Solche Rundfunkmitarbeiter können als Selbstständige tätig sein.
Die Rundfunkfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos, sie findet ihre Schranken beispielsweise in den Vorschriften über den Dienstvertrag und in den besonderen Bestimmungen des Arbeitsrechts.
Aufgrund dessen kann bei programmgestaltenden Mitarbeitern auch ein Arbeitsverhältnis vorliegen, wenn sie weitgehen inhaltlichen Weisungen unterliegen, ihnen also nur ein geringes Maß an Gestaltungsfreiheit, Eigeninitiative und Selbständigkeit verbleibt. Ein Arbeitsverhältnis ist auch anzunehmen, wenn ständige Dienstbereitschaft erwartet wird oder wenn solche Mitarbeiter ohne entsprechende Vereinbarung durch Dienstpläne herangezogen werden.
Arbeitnehmerstatus nicht programmgestaltender Rundfunkmitarbeiter
Nicht programmgestaltende Rundfunkmitarbeiter erfüllen im Regelfall die Kriterien eines Arbeitnehmers. Zu solchen Rundfunkmitarbeitern gehören das betriebstechnische und das Verwaltungspersonal sowie diejenigen, die zwar bei der Verwirklichung des Programms mitwirken, aber keinen inhaltlichen Einfluss darauf haben. Beispielsweise sind dies Sprecher und Übersetzer von Nachrichten- und Kommentartexten, Musikarchivare und Cutter.
Die Tätigkeit als Grafikdesignerin hat zwar programmgestaltende Elemente, der Einfluss der Klägerin auf die Programmgestaltung erreiche aber nicht die Intensität, die die Tätigkeit eines Redakteurs oder Regisseurs habe.
Grafikdesignerin ist eine weisungsgebundene Arbeitnehmerin und keine Selbstständige
Schließlich kam das BAG unter anderem zu dem Ergebnis, dass die Grafikdesignerin ihre Leistungen nicht als Selbstständige, sondern als weisungsgebundene Arbeitnehmerin erbringt. Hierzu führte das BAG folgende Begründungen aus.
Die Grafikdesignerin ist auf die Nutzung der von der Beklagten zur Verfügung gestellten technischen Gerätschaften angewiesen. Sie arbeitet ausschließlich in den Räumlichkeiten der Beklagten. Sie ist in die Arbeitsorganisation der Beklagten eingebunden. Insoweit nimmt sie regelmäßig an den montäglich stattfindenden Sitzungen im Bereich „Grafik und Design“ teil. Zudem muss sie während der täglichen Redaktionssitzungen anwesend sein.
Außerdem gibt die Redaktion der Grafikdesignerin den in der jeweiligen Infografik dazustellenden Sachverhalt vor. Auch wenn diese bei der Erstellung der Hintergrundbilder, Infografiken und Erklärstücke eine ihr zustehende Gestaltungsfreiheit nutzt, besteht das Arbeitsergebnis lediglich in einem Vorschlag, über dessen Annahme und Umsetzung nicht sie, sondern die ihr vorgesetzten Regisseure und Redakteure verbindlich entscheiden.
Fazit: Tätigkeit im Rahmen eines freien Dienstvertrages muss auch als solche ausgeübt werden
Das Urteil zeigt, dass eine Rundfunkanstalt aufgrund der Rundfunkfreiheit zwar berechtigt ist, ihre Mitarbeiter im Rahmen der freien Dienstverträge zu beschäftigen. Diese Tätigkeit von den freien Rundfunkmitarbeitern muss jedoch die Voraussetzungen eines freien Verhältnisses erfüllen. Wenn die maßgeblichen Elemente der freien Tätigkeit nicht vorhanden sind, kommt ein Arbeitsverhältnis zustande.
siehe auch unter: https://protag-law.com/freie-taetigkeit-oder-abhaengige-beschaeftigung-einer-grafikdesignerin-bag-urteil-9-azr-373-19/
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