- eine Initiative der Anwaltssocietät Prof. Dr. Tuengerthal, Andorfer, Greulich u. Prochaska -
Berechnung der Höchstüberlassungsdauer, LAG Urteil 6 Sa 217/22
Sachverhalt: Kreative Berechnung der Höchstüberlassungsdauer
Der vorliegende Rechtsstreit zwischen den Parteien dreht sich um die Frage, ob zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist. Der Kläger ist seit dem 15.05.2017 bei der A., auf Grundlage des schriftlichen Arbeitsvertrages tätig. Die A verfügt über eine Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung.
Vom 15.05.2017 bis zum 31.10.2020 wurde der Kläger als Leiharbeiter (auch Zeitarbeiter genannt) von der A. im Wege der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung an die Beklagte (Entleiher) überlassen. Grundlage waren verschiedene Überlassungsverträge. Der Einsatz erstreckte sich auf unterschiedliche Zeiträume
Der Kläger wurde als Leiharbeiter in verschiedenen Bereichen eingesetzt.
Leiharbeiter dürfen nur im Rahmen der Höchstüberlassungsdauer eingesetzt werden.
Zwischen A., der Beklagten und der Industriegewerkschaft Metall galt ein Tarifvertrag über die Vergütung und Einsatzbedingungen von Zeitarbeitern (TV VEZ). Dieser befristete unter anderem die Höchstüberlassungsdauer auf maximal 36 aufeinanderfolgende Monate. Der Kläger ist auch Mitglied der Gewerkschaft IG Metall. Daher fand auf ihn der Tarifvertrag Anwendung.
Mit seiner Klage begehrte der Leiharbeiter beim Arbeitsgericht die Feststellung eines Arbeitsver- hältnisses zwischen ihm und der Beklagten seit dem 31.10.2020. Nach seiner Ansicht war die Höchstüberlassungsdauer durch seine Einsätze bei der Beklagten ohne dreimonatige Unterbrechung überschritten.
Dies sah die Beklagte anders. Sie meinte, der Kläger habe die maßgebliche Höchstüberlassungsdauer noch nicht erreicht. Er sei teilweise nur wenige Tage im Monat im Einsatz gewesen. Damit sei er nur an 411 Tagen für die Beklagte im Einsatz gewesen. Bei einem nur tageweisen Einsatz seien lediglich die Tage tatsächlicher Arbeit zu berücksichtigen und gemäß § 191 BGB zu berechnen.
Das Arbeitsgericht gab dem Leiharbeiter recht. Es stellte zwischen den Parteien seit dem 31.10.2020 ein Arbeitsverhältnis fest. Dagegen legte die Beklagten Berufung ein.
Entscheidung des LAG: Die Berechnung der Höchstüberlassungsdauer bestimmt sich nach den Zeiträumen, die im Überlassungsvertrag zwischen dem Leiharbeiter und dem Entleiher genannt sind
Das LAG bestätigte das Urteil des Arbeitsgerichts. Wenn der Vertrag zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer nach § 9 AÜG unwirksam, gilt gemäß § 10 Abs.1 Satz 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeiter als zustande gekommen. Nach § 9 Abs. 1 Nr.1 b AÜG sind Arbeitsverträge zwischen Verleihern und Leiharbeitern mit dem Überschreiten der zulässigen Höchstüberlassungsdauer nach § 1 Abs. 1b AÜG unwirksam – vorbehaltlich einer Festhaltenserklärung durch den Leiharbeiter.
Der Tarifvertrag sah eine abweichende Höchstüberlassungsdauer von 36 Monaten vor. Das LAG stellte fest, dass diese Höchstüberlassungsdauer von 36 Monaten bereits am 03.08.2020 überschritten war. Ab diesem Zeitpunkt und damit jedenfalls auch am 31.10.2020 bestand ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien.
Berechnung der Höchstüberlassungsdauer
Wird die Höchstüberlassungsdauer überschritten, entsteht ein Arbeitsverhältnis des Leiharbeiters zum Entleiher.
Für die Berechnung der Höchstüberlassungsdauer stellte das LAG auf den Beginn des jeweils letzten Einsatzes eines Leiharbeiters ab.
Nach § 1 Absatz 1b Satz 2 AÜG und 4.3.1 Satz 1 2.Halbsatz TV-VEZ sind die Zeiträume vorheriger Überlassungen als Leiharbeiter vollständig anzurechnen. Eine Ausnahme wird gemacht, wenn zwischen den Einsätzen jeweils nicht mehr als 3 Monate liegen (AÜG) bzw. die Beendigung nicht länger als 6 Monate vor Beginn des erneuten Einsatzes zurückliegt (TV VEZ).
Maßgeblich sind die Zeiten, in denen Leiharbeiter auf Grundlage des Überlassungsvertrags in die Arbeitsorganisation des Entleihers eingegliedert sind
Allerdings stellte das LAG fest, dass allein der tatsächliche Einsatz des Leiharbeiters im Betrieb des Entleihers nicht genügt. Auch die zwischen dem Entleiher und Verleiher im Überlassungsvertrag vereinbarte Einsatzzeit ist nicht relevant. Es kommt auf die Zeiten an, in denen der Leiharbeiter auf Grundlage des Überlassungsvertrages in die Arbeitsorganisation des Entleihers eingegliedert ist und dessen Weisung unterliegt. Diese Zeiten sind als Einsatzzeiten bei der Berechnung der Höchstüberlassungsdauer zu berücksichtigen.
Eine Eingliederung besteht dabei solange fort, bis sie vom Entleiher beendet wird. In der Praxis ist dies dann gegeben, wenn entweder der Überlassungsvertrag oder aber die tatsächliche Eingliederung in den Betrieb endet. Der Entleiher muss den Leiharbeiter also ausgliedern.
Eingliederung eines Leiharbeiters besteht während der im Überlassungsvertrag genannten Zeiträume
Auch Urlaub oder Krankheit führen nicht von sich aus zu Unterbrechungen. Hier wird regelmäßig nicht der jeweilige Einsatz beendet. Auch an ansonsten üblicherweise arbeitsfreien Tagen, wie Samstagen, Sonntagen, Feiertagen und Freizeitausgleichstagen wird weder die Eingliederung des Leiharbeiters in die Arbeitsorganisation des Entleihers noch dessen Weisungsrecht aufgehoben. Wenn der Leiharbeiter – für sich genommen, ohne Hinzutreten eines Beendigungstatbestandes – nicht an allen Tagen der Woche bzw. des Monats eingesetzt wird, gilt dies auch.
Keine Anwendung von § 191 BGB
Auf den Einwand der Beklagten zu § 191 BGB stellte das LAG fest, dass dieser weder für ununterbrochene noch für unterbrochene Überlassungen heranzuziehen ist. § 191 BGB pauschaliert den Monat auf 30 Tage und das Jahr auf 365 Tage. Die Anwendung auf die Überlassungsfrist entspricht weder dem Wortlaut des Gesetzes und der tariflichen Bestimmung noch dem Willen des Gesetzgebers sowie der Tarifvertragsparteien. § 191 BGB soll nach dem Willen des Gesetzgebers für Fälle von Bedeutung sein, in welchen eine Zeitbestimmung nicht eine zwischen dem Anfangs- und Endpunkt liegende zusammenhängende Zeitstrecke, sondern eine Summe von nicht notwendig aufeinanderfolgenden Tagen bezeichnet
Aus oben genannten Gründen kam das LAG zu dem Ergebnis, dass die Zeiträume der jeweiligen Einsätze, die in den Überlassungsverträgen zwischen dem Verleiher und dem Entleiher genannt sind, komplett mitgerechnet werden. Wie viele Tage bzw. Stunden der Leiharbeiter tatsächlich im Betrieb tätig war ist unerheblich. Weil die zwischen ihnen liegenden Unterbrechungszeiträume jeweils nicht mehr als 3 bzw. 6 Monate umfasst haben, sind zudem alle Zeiten der Einsätze zusammenzurechnen. Hiernach hat die Höchstüberlassungsdauer des Klägers bei der Beklagten mit Ablauf des 03.08.2020 geendet.
Eine schriftliche Festhaltenserklärung im Sinne von § 9 Abs.1 Nr.1b AÜG hat der Kläger nicht abgegeben. Daher ist das Arbeitsverhältnis zwischen dem Leiharbeiter und dem Entleiher zustande gekommen.
Fazit: Die Höchstüberlassungsdauer muss eingehalten werden
Aus dem Urteil wird deutlich, dass für die Berechnung der Höchstüberlassungsdauer nicht die tatsächlichen Arbeitstage eines Leiharbeiters im Betrieb des Entleihers maßgeblich sind. Entscheidend sind die Zeiträume, während derer der Leiharbeiter in den Betrieb des Entleihers eingegliedert ist und dessen Weisungen unterliegt. Wie oft der Leiharbeiter tatsächlich im Betrieb ist, ist irrelevant. Bei der Überschreitung der Höchstüberlassungsdauer kommt das Arbeitsverhältnis zwischen dem Leiharbeiter und dem Entleiher zustande. Zugleich drohen empfindliche Bußgelder. Um sich vor unangenehmen Risiken zu schützen, sollte die dreimonatige Unterbrechung zwischen den einzelnen Einsätzen eingehalten werden. Hierzu stehen wir Ihnen mit Rat und Tat zur Seite.
Rechtsanwalt Heiko Greulich hilft Ihnen bei allen Fragen zur Arbeitnehmerüberlassung
Zu diesen und anderen Fragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Zögern Sie nicht und nehmen Sie Kontakt auf. Herr Rechtsanwalt Greulich hilft Ihnen gerne auch bei allen anderen Fragen rund um die Themen Fremdpersonaleinsatz, insbesondere Recht der Werkverträge und Zeitarbeit, Arbeitsrecht, Arbeits- und Wirtschaftsstrafrecht, sowie Europarecht. Darüber hinaus berät Sie Herr Greulich bei Fragen des Einsatzes von Selbständigen. Er unterstützt Sie im Falle von Sanktionen durch Behörden (Bußgeldbescheid etc.) und vertritt Sie sowohl gegenüber der Bundesagentur für Arbeit als auch, im Falle eines strafrechtlichen Vorwurfs, gegenüber Zoll oder Staatsanwaltschaft sowie vor Gerichten. Wenden Sie sich an Herrn Rechtsanwalt Greulich, wenn Sie sich vor den möglichen Risiken einer nicht rechtskonformen Durchführung Ihrer Tätigkeit absichern wollen. Sie erreichen ihn per E-Mail (info@protag-law.com) und telefonisch unter 06221 33 863 – 0.