- eine Initiative der Anwaltssocietät Prof. Dr. Tuengerthal, Andorfer, Greulich u. Prochaska -
Aufeinanderfolgende Überlassungen eines Zeitarbeiters bei demselben Entleiher müssen vorübergehend sein
EuGH Urteil vom 14.10.2020 – C-681/18
Sachverhalt: Gibt es eine Begrenzung aufeinanderfolgender Überlassungen eines Zeitarbeiters bei demselben Entleiher?
Im vorliegenden Fall befasste sich der EuGH mit der Auslegung des Art. 5 der Richtlinie 2008/104/EG über Zeitarbeit.
Es handelt sich um einen Rechtsstreit eines Zeitarbeiters, der einem Entleiher vom 3. März 2014 bis zum 30. November 2016 im Rahmen aufeinanderfolgender Arbeitnehmerüberlassungsverträge (insgesamt acht) und verschiedener Verlängerungen (insgesamt 17) überlassen wurde. Der Zeitarbeiter erhob eine Klage auf Feststellung, dass er insbesondere aufgrund der Überschreitung der nach nationalem (italienischem) Recht zugelassenen Höchstzahl von Verlängerungen von Leiharbeitsverträgen beim entleihenden Unternehmen unbefristet beschäftigt ist.
Der Zeitarbeiter machte in diesem Zusammenhang geltend, die auf den Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens anwendbaren nationalen Bestimmungen über Leiharbeit sähen keine Beschränkung für aufeinanderfolgende Überlassungen der Zeitarbeiter bei demselben Entleiher vor, was gegen die Richtlinie 2008/104/EG verstoße.
Das nationale Gericht war auch der Ansicht, dass die italienischen Rechtsvorschriften mit der Richtlinie 2008/104/EG, insbesondere ihrem Art. 5 Abs. 5, unvereinbar seien, da sie keine gerichtliche Überprüfung der Gründe für den Einsatz von Zeitarbeit und keine Beschränkungen für aufeinanderfolgende Überlassungen desselben Zeitarbeiters an dasselbe entleihende Unternehmen vorsähen. Aus diesem Grund setzte das Gericht das Verfahren aus und legte dem EuGH eine Frage vor.
Mit seiner Frage wollte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie 2008/104/EG dahin auszulegen ist, dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die
· die Zahl aufeinanderfolgender Überlassungen desselben Zeitarbeiters bei demselben entleihenden Unternehmen nicht beschränken und
· die Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Arbeitnehmerüberlassung nicht von der Angabe der technischen oder mit der Produktion, der Organisation oder der Ersetzung eines Arbeitnehmers zusammenhängenden Gründe für den Einsatz der Arbeitnehmerüberlassung abhängig machen.
Entscheidung des EuGH: Arbeitnehmerüberlassung muss Flexibilität der Unternehmen und Sicherheit von Zeitarbeitern beachten
In seinem Urteil stellte der EuGH fest, dass die Richtlinie 2008/104/EG nur die Einführung von Mindestvorschriften vorsieht, mit denen zum einen die Beachtung des in Art. 5 dieser Richtlinie verankerten Grundsatzes der Gleichbehandlung von Zeitarbeitern sichergestellt werden soll und zum anderen die nationalen Verbote und Einschränkungen der Zeitarbeit überprüft werden sollen. Es sollen nur solche Verbote und Einschränkungen behalten werden, die aus Gründen des Allgemeininteresses zum Schutz der Zeitarbeiter gerechtfertigt sind, wie es Art. 4 der Richtlinie vorsieht.
Die Richtlinie 2008/104/EG entspricht nicht nur dem Flexibilitätsbedarf der Unternehmen. Sie soll auch dem Bedürfnis der Zeitarbeiter, Beruf und Privatleben zu vereinbaren dienen. Somit trägt sie zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Teilnahme am und zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt bei. Diese Richtlinie bemüht sich daher um einen Ausgleich zwischen dem Ziel der von den Unternehmen angestrebten Flexibilität und dem Ziel der Sicherheit, das dem Schutz der Zeitarbeiter zuzuordnen ist.
Dieses zweifache Ziel entspricht somit dem Willen des Unionsgesetzgebers, die Zeitarbeitsbedingungen den „normalen“ Arbeitsverhältnissen anzunähern, zumal die übliche Form des Beschäftigungsverhältnisses unbefristete Arbeitsverträge sind. Diese Richtlinie zielt daher auch darauf ab, den Zugang der Zeitarbeiter zu unbefristeter Beschäftigung bei dem entleihenden Unternehmen zu fördern.
Der Grundsatz der Gleichbehandlung dient demselben Ziel. Nach dieser Bestimmung müssen nämlich die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Zeitarbeiter während der Dauer ihrer Überlassung an ein entleihendes Unternehmen mindestens denjenigen entsprechen, die für sie gelten würden, wenn sie von dem Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wären (Equal-Pay/Equal-Treatment-Grundsatz)
Hierbei bezieht sich der Begriff „wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“ auf die Dauer der Arbeitszeit, Überstunden, Pausen, Ruhezeiten, Nachtarbeit, Urlaub, arbeitsfreie Tage und Arbeitsentgelt.
Richtlinie über die Zeitarbeit soll Missbrauch und aufeinanderfolgende Überlassungen von Zeitarbeitern verhindern
Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie 2008/104/EG erlegt den Mitgliedstaaten in diesem Sinne zwei verschiedene Verpflichtungen auf.
Die erste verpflichtet sie, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um allein eine missbräuchliche Anwendung der nach Art. 5 Abs. 2 bis 4 der Richtlinie 2008/104/EG zugelassenen Ausnahmen zu verhindern. Die zweite Verpflichtung ist hingegen weiter gefasst und zielt darauf ab, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um insbesondere aufeinanderfolgende Überlassungen zu verhindern, mit denen die Bestimmungen dieser Richtlinie insgesamt umgangen werden sollen.
Weiterhin soll die Richtlinie 2008/104/EG auch sicherstellen, dass die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass Zeitarbeit bei demselben entleihenden Unternehmen nicht zu einer Dauersituation für einen Zeitarbeiter wird.
Arbeitnehmerüberlassung darf nur vorübergehend sein
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass das Arbeitsverhältnis mit einem entleihenden Unternehmen seiner Natur nach vorübergehend ist.
Außerdem stellt die Richtlinie klar, dass „unbefristete Arbeitsverträge“, d. h. Dauerarbeitsverhältnisse, die übliche Form des Beschäftigungsverhältnisses sind. Die Zeitarbeiter müssen über die im entleihenden Unternehmen offenen Stellen unterrichtet werden, damit sie die gleichen Chancen auf einen unbefristeten Arbeitsplatz haben wie die übrigen Arbeitnehmer dieses Unternehmens.
Dazu geht aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass die sich aus einer Richtlinie ergebende Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das darin vorgesehene Ziel zu erreichen, und ihre Pflicht gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV und Art. 288 AEUV, alle zur Erfüllung dieser Verpflichtung geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu treffen, allen Trägern öffentlicher Gewalt der Mitgliedstaaten einschließlich, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten, der Gerichte obliegt.
Zur Erfüllung dieser Verpflichtung verlangt der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung von den nationalen Behörden, unter Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der dort anerkannten Auslegungsmethoden alles zu tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem vom Unionsrecht verfolgten Ziel im Einklang steht.
Führen aufeinanderfolgende Überlassungen desselben Zeitarbeiters bei demselben entleihenden Unternehmen zu einer Beschäftigungsdauer bei diesem Unternehmen, die länger ist als was vernünftigerweise als „vorübergehend“ betrachtet werden kann, könnte dies ein Hinweis auf einen missbräuchlichen Einsatz aufeinanderfolgender Überlassungen im Sinne von Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie 2008/104/EG sein.
Schließlich antwortete der EuGH auf die vorlegende Frage, dass Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie 2008/104/EG nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegensteht, die die Zahl aufeinanderfolgender Überlassungen desselben Zeitarbeiters bei demselben entleihenden Unternehmen nicht beschränken. Es ist außerdem mit der genannten Vorschrift vereinbar, wenn nationale Rechtsvorschriften die Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Arbeitnehmerüberlassung nicht von der Angabe der technischen oder mit der Produktion, der Organisation oder der Ersetzung eines Arbeitnehmers zusammenhängenden Gründe für den Einsatz der Arbeitnehmerüberlassung abhängig machen.
Dagegen verwehrt Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie es einem Mitgliedstaat, keine Maßnahmen zu ergreifen, um den vorübergehenden Charakter der Zeitarbeit zu wahren. Hierzu sollen nationale Regelungen aufeinanderfolgende Überlassungen desselben Zeitarbeiters an dasselbe entleihende Unternehmen verhindern, wenn sie das Ziel haben, die Bestimmungen der Richtlinie 2008/104/EG insgesamt zu umgehen.
Fazit: Die Zahl der aufeinanderfolgenden Überlassungen ist irrelevant, wenn sie vorrübergehend sind
Aus dem Urteil des EuGH wird ersichtlich, dass es nicht notwendig ist, dass nationale Vorschriften die Zahl der aufeinanderfolgenden Überlassungen beschränken. Wichtig ist, dass solche Überlassungen vorübergehenden Charakter haben und die Bestimmungen der Richtlinie nicht umgehen. Daher soll durch nationale Rechtsvorschriften verhindert werden, dass aufeinanderfolgende Überlassungen die Richtlinie über Zeitarbeit umgehen. Zu diesen und anderen Fragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Zögern Sie nicht und nehmen Sie Kontakt auf.
siehe auch unter: https://protag-law.com/aufeinanderfolgende-ueberlassungen-eines-zeitarbeiters-bei-demselben-entleiher-muessen-voruebergehend-sein-eugh-urteil-vom-14-10-2020-c-681-18/
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