- eine Initiative der Anwaltssocietät Prof. Dr. Tuengerthal, Andorfer, Greulich u. Prochaska -
Seminarbericht - Seminar AvD‚Die Automobilwirtschaft im Focus der Gesetzgebung‘
Nach langer Zeit und einigen Vorschlägen liegt nun erstmals ein Vorschlag zur Verhinderung des „Missbrauchs von Werkvertragsgestaltungen“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) vom 16.11.2015 – leider eine gesetzliche Fehgestaltung, wie die Arbeitsgemeinschaft Werkverträge und Zeitarbeit konstatiert. Obgleich der Vorschlag bereits derart zurückgezogen wurde, wird es bei dem neu geplanten Gesetzesvorschlag Auswirkungen auf die Automobilwirtschaft und ihre Vertragsgestaltungen geben. Die Kritik der Arbeitsgemeinschaft bezog sich im Rahmen des Seminars grundsätzlich auf die Fehlkonstruktion von § 611a BGB, welcher nicht nur gesetzessystematisch mehr als denkwürdig sei, sondern auch mehrere Vertragskonstellationen vermische sowie nicht die herrschende Rechtsprechung, wie im Koalitionsvertrag angekündigt, wiedergäbe.
Den Anfang machte Herr Rechtsanwalt Christian Andorfer, der den Teilnehmern eine Übersicht über den Gesetzesentwurf vom 16.11.2015 gab und auf die potentiellen Auswirkungen auf die Automobilbranche hinwies. Dabei sprach Herr Andorfer an, dass diese Werkverträge schon lange ein Dorn im Auge für die Gewerkschaften seien und die SPD resolut an der Verwirklichung eines neuen Gesetzes arbeitet. Im Ergebnis wurde aufgezeigt, dass im Falle der Verwirklichung des Gesetzesvorschlages, die Unternehmen verschärft auf die Durchführung der Dienst- und Werkverträge zu achten haben und die Kanzlei hierzu sogenannte „Audits“ anbiete.
Daraufhin verdeutlichte Prof. Dr. Tuengerthal die Problematik hinsichtlich des Kriterienkataloges anhand des Hinweises auf den „blauen“ und den „roten“ Zettel. Man müsse demnach genau differenzieren: Das „rote“ Papier beinhalte den Entwurf zu § 611a BGB und gelte allein für die Abgrenzung Einzelkämpfer zum Arbeitnehmer, dagegen gelte das „blaue“ Papier für die Arbeitnehmerüberlassung und die Werkunternehmen. Eine Anwendung des „roten“ Papiers auf die Werkunternehmen, betonte Herr Prof. Dr. Tuengerthal, würde sich nicht aus dem Gesetzesvorschlag ergeben, so dass sich im Grunde nichts für die Werkunternehmen ändern würde.
Im Anschluss referierte Herr Prof. Dr. Franzen (LMU München) zu den einzelnen Kriterien des § 611a BGB hinsichtlich der Abgrenzung des Freelancers zu einem Arbeitnehmer. Herr Prof. Dr. Franzen sprach dabei an, dass aufgrund der Kriterien in lit.g) und h) durchaus eine Anwendung der Kriterien auf die Abgrenzung Werkvertrag und Arbeitnehmerüberlassung möglich erscheint. Grund hierfür sei die Vermengung der Fragestellungen von Drittpersonaleinsatz und des Arbeitnehmerbegriffes. Demnach muss politisch verhindert werden, dass es zu einem derartigen gesetzsystemwidrigen Gesetz kommt. Herr Tuengerthal wies in diesem Zusammenhang daraufhin, dass die Arbeitsgemeinschaft eindeutig die Auffassung vertrete, dass sowohl eine direkte als auch entsprechende Anwendung des § 611a BGB auf Werkunternehmen nicht möglich sei.
Herr Franzen brachte im Folgenden weitere grundlegende Einwände gegen den § 611a BGB, insbesondere das eine Gewichtung der Kriterien gänzlich fehlt, obgleich dies bislang derart praktiziert wurde. Auch ermahnte er die fehlende Erwähnung der „persönlichen Abhängigkeit“ als Hauptkriterium des Freelancers. Mit Hinweis auf die EuGH Entscheidung „Martin Meat“ verdeutlichte Franzen, den mangelnden Einklang der Kriterien mit den europäischen Vorgaben.
Die unterschiedliche Situation von Einzelkämpfer und dem Drittpersonaleinsatz wurde durch Prof. Dr. Tuengerthal betont, welche leider nicht immer beachtet wird. Er verdeutlichte, dass eine unmittelbare Anwendung des § 611a BGB auf die Werkunternehmen schon systematisch nicht möglich sei. Ferner führte er aus, warum die genannten Kriterien nicht zu der bekannten Rechtsprechung der Abgrenzung Werkvertrag und Arbeitnehmerüberlassung passen.
In der darauffolgenden Diskussion wurde insbesondere der Fall besprochen, was passieren würde, wenn der „rote“ Zettel nun doch auf die Werkunternehmen angewandt wird. Folge sei, dass bei Bejahung der Kriterien der Werkarbeitnehmer in ein Arbeitsverhältnis mit dem Auftraggeber übergeht. Die Folgen wären sowohl bußgeldrechtlicher als auch strafrechtlicher Natur, ebenso käme es zu einer Nachzahlung der Sozialversicherungsbeiträge. Herr Tuengerthal akzentuierte dabei die Wichtigkeit der Entsendebescheinigungen bei grenzüberschreitenden Arbeiten.
In seinem Vortrag ging Herr Andorfer auf die geplante Neureformierung der §§ 9, 10 AÜG im Hinblick auf die sogenannte „Vorratserlaubnis“ ein. Er führte hierzu aus, dass bislang ein Werkunternehmen in der „Hintertasche“ eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis haben konnte, falls die Werkverträge später als Arbeitnehmerüberlassungsverträge eingestuft werden würden. In der Neuregelung soll nun die Arbeitnehmerüberlassung als solche ausdrücklich gekennzeichnet werden. Folge dessen ist, dass bei fehlender Kennzeichnung auch ein Arbeitsverhältnis fingiert wird. Eine Umgehungsmöglichkeit nach der geplanten Neuregelung werde es so nicht mehr geben.
Hinsichtlich der positiven Entwicklung der Rechtsprechung bei der Werkvertragsgestaltung referierte Frau Geißer und stellte hierzu vier neuere Entscheidungen dar. Dabei wurde insbesondere betont, dass gerade das Abgrenzungsmerkmal „alleinige Weisungsgebundenheit“ in der Rechtsprechung als maßgebliches Indiz angesehen wird. Speziell die explizite Unterscheidung zwischen der zulässigen fachlichen Weisung im Werkvertrag und der unzulässigen arbeitsrechtlichen Weisung wäre für die Unternehmen vorteilhaft und wurde deutlich vom EuGH herausgearbeitet. Zwar könne im Einzelfall die Sache von einem anderen Gericht durchaus unterschiedlich bewertet werden, jedoch sei gerade deshalb wichtig, die positiven Entscheidungen herauszustellen und sich gut vorzubereiten.
Herr Dr. Hennecke befasste sich in seinem Vortrag mit der neugeplanten Gesetzeslage zu §§ 80 Abs. 2, 92 Abs. 1, 92a BetrVG. Dabei wurden die wesentlichen Rechte des Betriebsrates nach der geltenden Gesetzeslage mit der neu geplanten verglichen. Hierbei wurde auch betont, dass eine Konkretisierung der Vorlageverpflichtung des Unternehmens gegenüber dem Betriebsrat durch die Neuregelung erfolge. Herr Hennecke wies bei der folgenden Diskussion daraufhin, dass bei Abweichungen durch Betriebsvereinbarungen immer die Gefahr bestünde, dass wenn „jeder“ solche beschließt, es irgendwann als vorherrschend angesehen und dann sogar verlangt wird.
Den Abschluss des Seminars bildete eine Diskussionsrunde zu den praktischen Erfahrungen mit den angesprochenen Problemkreisen. Seitens der IT-Personal-Branche wurde eingewandt, dass teilweise verlautbart wurde, dass eine Version 2.0 des Gesetzesvorschlages bereits vorläge und für das Frühjahr in Aussicht gestellt wird. Insgesamt herrschte Einigkeit darüber, dass der Kriterienkatalog des § 611a Abs. 2 BGB lebensfremd und viel zu pauschal gehalten sei. Eine Durchführung von Werk- oder Dienstverträgen wäre damit praktisch nicht mehr durchführbar. Auch merkte Herr Tuengerthal an, wie unpässlich es sei, dass nach der Neuregelung die deutschen Rentenversicherung entscheiden soll, ob ein Arbeitnehmer vorliegt oder nicht. Es sei widersprüchlich, dass derjenige entscheiden soll, der aus dem Geld profitiert. Im operativen Geschäft würde Unsicherheit bezüglich der Umstände herrschen, wie man legal zum Ziel gelangen kann. Problematisch gestaltet sich schon der Kommunikationsaustausch was dazu führt, dass sich die verschiedenen Parteien aus dem Weg gehen. Folge sei eine Stagnation der Tätigkeit. Zusammenfassend hielt Herr Tuengerthal fest, dass man in der Sache eng zusammenarbeiten müsse, um an einem Strang zu ziehen.