- eine Initiative der Anwaltssocietät Prof. Dr. Tuengerthal, Andorfer, Greulich u. Prochaska -
Mindestanforderung an die Entsendung von Leiharbeitern
EuGH Urteil vom 03.06.2021 – C-784/19
Sachverhalt: Welche Voraussetzungen muss ein Verleiher für die Entsendung von Leiharbeitern erfüllen?
Im vorliegenden Fall handelt es sich um einen Streit zwischen einem bulgarischen Leiharbeitsunternehmen (Team Power Europe) und einer bulgarischen Behörde. Diese hatte sich geweigert, eine Entsendebescheinigung A1 für die Leiharbeiter auszustellen.
Das bulgarische Leiharbeitsunternehmen überließ einen Leiharbeiter, einen bulgarischen Staatsangehörigen, einem in Deutschland ansässigen entleihenden Unternehmen. Dafür stellte der Verleiher bei der zuständigen bulgarischen Behörde einen Antrag auf Ausstellung einer Bescheinigung A1. Mit dieser sollte bescheinigt werden, dass die bulgarischen Rechtsvorschriften für die Zeit der Überlassung des betreffenden Leiharbeiters auf diesen anwendbar waren.
Der Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, dass der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens nicht in den Anwendungsbereich von Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 falle. Zum einen sei nämlich keine direkte Bindung zwischen dem Verleiher und dem fraglichen Leiharbeiter aufrechterhalten worden. Zum anderen habe dieses Unternehmen in Bulgarien keinen nennenswerten Teil seiner Tätigkeit ausgeübt.
Dagegen erhob das Leiharbeitsunternehmen eine Klage beim bulgarischen Verwaltungsgericht. Das Verwaltungsgericht setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH eine Frage vor.
Mit seiner Frage wollte das Verwaltungsgericht wissen, ob Art. 14 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 dahin auszulegen ist, dass es für die Entsendung von Leiharbeitern genügt, dass das Leiharbeitsunternehmen diese einstellt. Oder muss das Leiharbeitsunternehmen, um eine Entsendung für sich in Anspruch zu nehmen, Leiharbeiter auch in den Entsendestaat verleihen?
Entscheidung des EuGH: Ein Leiharbeitsunternehmen muss seine Leiharbeiter gewöhnlich im Entsendestaat anderen Unternehmen überlassen
Nach Art. 12 Abs. 1 unterliegt eine Person, die in einem Mitgliedstaat für Rechnung eines Arbeitgebers, „der gewöhnlich dort tätig ist“, eine Beschäftigung ausübt und die von diesem Arbeitgeber in einen anderen Mitgliedstaat entsandt wird, um dort eine Arbeit für dessen Rechnung auszuführen, weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit 24 Monate nicht überschreitet und diese Person nicht eine andere entsandte Person ablöst.
Weiterhin stellt Art. 14 Abs. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 klar, dass unter diesem Begriff ein Arbeitgeber zu verstehen ist, „der gewöhnlich andere nennenswerte Tätigkeiten als reine interne Verwaltungstätigkeiten [im] Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, in dem das Unternehmen niedergelassen ist, ausübt“.
Der EuGH stellte fest, dass Team Power Europe Leiharbeiter nur an entleihende Unternehmen überlässt, die nicht in Bulgarien, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind. In Bulgarien übte das Leiharbeitsunternehmen nur die Tätigkeiten der Auswahl und der Einstellung der Leiharbeiter aus.
Sind die Auswahl und Einstellung von Leiharbeitern nennenswerte Tätigkeiten für die Entsendung?
Der EuGH stellte klar, dass die Auswahl und Einstellung von Leiharbeitern zwar nicht als „reine interne Verwaltungstätigkeiten“ eingestuft werden können. Der Begriff „reine interne Verwaltungstätigkeiten“ erfasst nur Tätigkeiten rein administrativer Art, die das interne Funktionieren des Unternehmens sicherstellen sollen.
Die bloße Tätigkeit der Auswahl und der Einstellung von Leiharbeitern reicht aber nicht aus, um annehmen zu können, dass ein Leiharbeitsunternehmen nennenswerte Tätigkeiten im Mitgliedstaat seiner Niederlassung ausübt und dadurch gewöhnlich dort tätig ist.
Der EuGH kam daher zu dem Ergebnis, dass bei einem Leiharbeitsunternehmen nur dann angenommen werden kann, dass es in dem Mitgliedstaat, in dem es ansässig ist, „nennenswerte Tätigkeiten“ ausübt, wenn es dort in nennenswertem Umfang Tätigkeiten der Überlassung dieser Leiharbeiter für im selben Mitgliedstaat tätige entleihende Unternehmen ausübt.
Die Entsendung von Leiharbeitern darf nicht zu einem „forum shopping“ werden
Der EuGH sieht sonst die Gefahr der Ausnutzung der Unterschiede zwischen den Systemen der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten. Daraus resultiert die Möglichkeit der Wettbewerbsverzerrung bei der Inanspruchnahme von Leiharbeit, wenn Leiharbeitsunternehmen für ihre Leiharbeiter die sozialen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten anwenden dürfen, in denen sie niedergelassen sind, aber dort keine tatsächliche Arbeitnehmerüberlassung ausüben.
Schließlich kam der EuGH zu dem Ergebnis, dass ein Leiharbeitsunternehmen, das seine Tätigkeit der Überlassung von Leiharbeitern ausschließlich oder hauptsächlich an entleihende Unternehmen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem es ansässig ist, ausübt, zwar berechtigt ist, sich selbst auf die Dienstleistungsfreiheit zu berufen. Ein solches Unternehmen kann aber nicht in den Genuss der Vorteile aus Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 kommen, wonach diese Leiharbeiter weiterhin dem System des Mitgliedstaats zugehörig bleiben, in dem das Unternehmen ansässig ist. Dieser Vorteil ist dabei davon abhängig, dass dieses Unternehmen einen nennenswerten Teil seiner Tätigkeit der Arbeitnehmerüberlassung für entleihende Unternehmen ausübt, die im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, in dem es selbst niedergelassen ist, ansässig und tätig sind.
Anderenfalls könnte für diese Unternehmen ein Anreiz zum „forum shopping“ geschaffen werden. Verleiher könnten den Mitgliedstaat wählen, dessen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit am günstigsten sind.
Fazit: Ohne tatsächliche Arbeitnehmerüberlassung im Entsendestaat ist keine Entsendung von Leiharbeitern möglich
Aus dem EuGH Urteil wird deutlich, dass Leiharbeitsunternehmen für ihre Leiharbeiter nur dann die Entsendung für sich in Anspruch nehmen können, wenn ihre eigentliche Tätigkeit auch im Entsendestaat ausgeübt wird. Dazu müssen sie diese Leiharbeiter gewöhnlich den Unternehmen überlassen, die auch in ihrem Mitgliedstaat niedergelassen sind. Beispielsweise darf ein bulgarisches Leiharbeitsunternehmen für seine nach Deutschland entsandten Leiharbeiter weiterhin die bulgarischen sozialen Rechtsvorschriften anwenden, wenn dieses bulgarische Leiharbeitsunternehmen gewöhnlich diese Leiharbeiter an bulgarische Unternehmen überlässt. Wenn dies nicht der Fall ist, müssen für diese Leiharbeiter Sozialabgaben in Deutschland bezahlt werden.
Siehe auch unter: https://protag-law.com/mindestanforderung-an-die-entsendung-von-leiharbeitern-eugh-urteil-vom-03-06-2021-c-784-19/
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