Betriebsübergang bei Vergabe von Buslinien
EuGH Urteil vom 27.2.2020 – C-298/18
Sachverhalt: Neuvergabe von Buslinien – Steht die Nichtübernahme von Bussen einem Betriebsübergang entgegen?
Das Urteil des EuGH betrifft die Auslegung von Art. 1 I der Richtlinie 77/187/EWG zur Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen.
Im vorliegenden Fall geht es um die Frage eines Betriebsübergangs einer GmbH (folgend SBN), die den öffentlichen Busnahverkehrsdienst betrieb. Der neue Inhaber (folgend OSL), der den Busdienst übernommen hat, wollte aber Busse, Betriebsstätte und sonstige Betriebsanlagen der SBN weder kaufen noch mieten noch von ihr Werkstattdienstleistungen in Anspruch nehmen. Es wurden sowit wesentliche Betriebsmittel nicht übernommen. Der Grund lag darin, dass die Busse veraltet waren und daher nicht mehr den rechtlichen, umweltrelevanten und technischen Vorgaben der Ausschreibung entsprachen. Die OSL stellte allerdings den überwiegenden Teil der Busfahrer und Führungskräfte ein. Dies erfolgte, weil die Busfahrer über die nötigen Fachkenntnisse wie z.B. über das Verkehrsnetz, die Linienführung, Fahrpläne, Anschlüsse, Sprache usw. verfügten. Dies war in der dortigen ländlichen Region ein knappes Gut.
Ein Arbeitnehmer und die SBN nahmen daher einen Betriebsübergang an und leiteten daraus Ansprüche her bzw. lehnten Ansprüche ab. Das ArbG Cottbus legte daher dem EuGH die Frage vor, ob der Umstand der Nichtübernahme von Betriebsmitteln der Qualifizierung des Betriebsübergangs entgegensteht.
Entscheidung des EuGH: Entscheidend für einen Betriebsübergang ist die Wahrung der Identität der wirtschaftlichen Einheit durch den Erwerber
Der EuGH befasste sich mit dem Begriff eines Betriebsübergangs und mit den Faktoren, die in dem Fall zu berücksichtigen sind. Danach gilt als Übergang der Übergang einer ihrer Identität bewahrenden wirtschaftlichen Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- und Nebentätigkeit. Der Begriff der Einheit bezieht sich somit auf eine organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung. Hierbei ist für einen Betriebsübergang entscheidend, dass die wirtschaftliche Einheit ihre Identität bewahrt. Beispielsweise ist dies der Fall, wenn der Betrieb tatsächlich weitergeführt oder wieder aufgenommen wird.
Für die Feststellung einer Identitätsbewahrung müssen sämtliche Tatsachen berücksichtigt werden, wie:
- die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebs,
- der Übergang oder Nichtübergang der materiellen Aktiva wie Gebäude und bewegliche Güter
- der Wert der immateriellen Aktiva zum Zeitpunkt des Übergangs,
- die Übernahme oder Nichtübernahme der Hauptbelegschaft durch den neuen Inhaber
- der Übergang oder Nichtübergang der Kundschaft, sowie
- der Grad der Ähnlichkeit der verrichteten Tätigkeit und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit.
Die Identität einer wirtschaftlichen Einheit ergibt sich aus mehreren untrennbar zusammenhängenden Faktoren wie dem Personal der Einheit, ihren Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden und den ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln.
Der EuGH kam zu dem Ergebnis, dass die Nichtübernahme von Betriebsmitteln nicht notwendigerweise einem Betriebsübergang entgegensteht. Dies ist der Fall, wenn sich die Nichtübernahme aus rechtlichen, umweltrelevanten oder technischen Vorgaben ergibt. Im vorliegenden Fall setzte sich der Busbestand aus Fahrzeugen zusammen, die betrieblich nicht genutzt werden konnten, da sie die zugelassenen Betriebsdauer erreicht hatten und die Vorgaben des öffentlichen Auftraggebers nicht erfüllten. Die Busse waren somit für die Fortsetzung des Betriebes nicht so relevant.
Ob andere Faktoren der Identitätsbewahrung vorhanden sind und damit ein Betriebsübergang vorliegt, ist eine Sache des nationalen Gerichts. Allerdings ist die Übernahme eines wesentlichen Teiles der Arbeitnehmer ein gewichtiges Indiz. Diese werden zudem von OSL für identische oder ähnliche Aufgaben eingesetzt. Zudem verfügen sie über spezifische Qualifikationen. Diese sind für eine Fortsetzung der Buslinien unerlässlich. Auch aus diesem Grunde kommt es auf eine Nichtübernahme der Busse nicht so sehr an, um einen Betriebsübergang anzunehmen.
Fazit: Betriebsübergang kann auch vorliegen, wenn keine Betriebsmittel übergehen, dafür aber andere wichtige Faktoren vorliegen
Der EuGH erklärt in seinem Urteil ausführlich unter welchen Voraussetzungen ein Betriebsübergang vorliegt. Hierbei ist eine Identitätsbewahrung notwendig. Diese ist bei einer bloßen Weiterführung der Tätigkeit jedoch nicht gegeben. Der neue Inhaber muss außerdem einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil der Belegschaft übernehmen, die sein Vorgänger gezielt für diese Tätigkeit eingesetzt hatte. So erwirbt der neue Unternehmensinhaber eine organisierte Gesamtheit, die ihm die Fortsetzung der Tätigkeiten des übertragenden Unternehmens auf Dauer erlaubt.
siehe auch unter: https://protag-law.com/betriebsuebergang-bei-vergabe-von-buslinien-eugh-urteil-v-27-2-2020-c-298-18/
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