Mehr Infos zur EuGH-Vorlage des LArbG Berlin-Brandenburg vom 13.05.2020 - 15 Sa 1991/19

Mehr Infos zur EuGH-Vorlage des LArbG Berlin-Brandenburg vom 03.05.2020 - 15 Sa 1991/19


Vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern, Überlassungszeiten vor der AÜG-Reform
EuGH-Vorlage des LArbG Berlin-Brandenburg vom 13.05.2020 – 15 Sa 1991/19

Sachverhalt: Wann ist eine Überlassung eines Leiharbeitnehmers als „vorübergehend“ anzusehen?
Im vorliegenden Fall war der Kläger als Leiharbeiter „Wer seit dem 01.09.2014 bei einem Leiharbeitsunternehmen beschäftigt. In einer Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag war vereinbart worden, dass der Kläger die Arbeitsleistung bei der Beklagten D., einem Großunternehmen der Automobilindustrie, in Berlin als Metallarbeiter zu erbringen hat.

Der Kläger war vom 01.09.2014 bis 31.05.2019 ausschließlich der Beklagten als entleihendes Unternehmen überlassen worden. Er arbeitete ständig in der Motorenfertigung. Ein Vertretungsfall lag nicht vor. Unterbrochen war diese Zeit nur für 2 Monate wegen der Elternzeit.

Mit der am 27.06.2019 beim Arbeitsgericht Berlin erhobenen Klage begehrte der Kläger die Feststellung, dass zwischen den Parteien seit dem 01.09.2015 ein Arbeitsverhältnis besteht. Er vertrat die Ansicht, dass die Überlassung an die Beklagte nicht mehr als „vorübergehend“ eingestuft werden könne. Dies und insbesondere die Stichtagsregelung des § 19 Absatz 2 AÜGverstießen gegen das Unionsrecht. Ein vorübergehender Bedarf könne keinesfalls länger sein als der höchstzulässige Zeitraum für eine Befristung ohne Sachgrund. Dies seien (entsprechend der deutschen Regelung) maximal 24 Monate.

Demgegenüber vertrat die Beklagte die Ansicht, dass das Kriterium „vorübergehend“ seit dem 01.04.2017 (seit der AÜG-Reform) durch den Gesetzgeber geklärt worden sei. Danach könne von der maximalen Überlassungsdauer von 18 Monaten durch Tarifvertrag der Einsatzbranche abgewichen werden. Nach der gesetzlichen Regelung sei es den Tarifvertragsparteien erlaubt, weitere Regelungen durch Betriebsvereinbarung zuzulassen. Eine Gesamtbetriebsvereinbarung vom 20.09.2017 enthalte solche Regelungen. Die dort vorgesehene Überlassungshöchstdauer von 36 Monaten sei nicht überschritten worden, da nur Zeiten ab dem 01.04.2017 zu berücksichtigen seien.

Das Arbeitsgericht Berlin hat sich in seinem Urteil der Rechtsansicht der Beklagten angeschlossen und die Klage abgewiesen. Hiergegen legte der Kläger Berufung ein.

Das LArbG: Wann ist die Überlassung eines Leiharbeiters noch vorübergehend?
Das LArbG legte dem EuGH die Rechtsfrage vor und begründete auf Basis des nationalen Rechts in Bezug auf die vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung die Vorlage wie folgt:

Vor dem Jahr 2017 existierten im Bereich der Automobilindustrie keine tarifvertraglichen oder betrieblichen Regelungen, die eine maximale Überlassungsdauer gesondert geregelt haben.

Vor dem 01.04.2017 fehlte eine ausdrückliche gesetzliche Sanktion für den Fall, dass die Überlassung an das entleihende Unternehmen nicht mehr als vorübergehend eingestuft werden kann. Das Bundesarbeitsgericht ging daher davon aus, dass auch dann kein Arbeitsverhältnis zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher zu Stande kommt, wenn der Einsatz des Leiharbeitnehmers nicht nur vorübergehend erfolgt. (BAG 10.12.2013 – 9 AZR 51/13)

Seit dem 01.04.2017 beträgt nach dem AÜG die maximale Überlassungsdauer 18 Monate, wobei wegen der gesetzlichen Übergangsvorschrift nur Zeiten ab diesem Stichtag berücksichtigt werden.

Hiervon kann jedoch nach der gesetzlichen Regelung durch einen Tarifvertrag abgewichen werden, der von den Tarifvertragsparteien der Entleihbranche abgeschlossen wird. Laut dem Tarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie vom 01.06.2017 betrug die Höchstüberlassungsdauer 36 Monate für den Fall, dass eine Betriebsvereinbarung nicht abgeschlossen wird.

Im vorliegenden Fall war eine freiwillige Gesamtbetriebsvereinbarung vom 20.09.2017 abgeschlossen worden. Diese sah eine Höchstüberlassungsdauer von 36 Monaten gerechnet ab dem 01.04.2017 vor. Danach hätte der Kläger bis zum 01.04.2020 beschäftigt werden können.

Das LArbG geht aber davon aus, dass die Überlassung eines Leiharbeitnehmers gemäß Artikel 1 der Richtlinie 2008/104/EGvom 19.11.2008 über Leiharbeit (Leiharbeitsrichtlinie) nur dann zulässig ist, wenn sie vorübergehend erfolgt. Das Merkmal „vorübergehend“ ist nicht nur eine Beschreibung oder ein unverbindlicher Programmsatz. Eine nähere Definition enthält die Leiharbeitsrichtlinie aber nicht. Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zur Auslegung dieses Merkmals fehlen bisher.

Aus diesem Grund setzte das LArbG das Verfahren aus und wendete sich an den EuGH.

Vorlage beim EuGH: Bezieht sich die Frage der vorübergehenden Überlassung eines Leiharbeitnehmers auf diesen selbst oder seinem Arbeitsplatz?
Das LArbG hielt die Auslegung der Leiharbeitnehmerrichtlinie für notwendig und legte dem EuGH folgenden Fragen vor.

  1. Ist die Überlassung eines Leiharbeitnehmers an ein entleihendes Unternehmen schon dann nicht mehr als „vorübergehend“ im Sinne des Art. 1 der Leiharbeitsrichtlinie anzusehen, wenn die Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz erfolgt, der dauerhaft vorhanden ist und der nicht vertretungsweise besetzt wird?
  2. Ist die Überlassung eines Leiharbeitnehmers unterhalb einer Zeitspanne von 55 Monaten als nicht mehr „vorübergehend“ im Sinne des Art. 1 der Leiharbeitsrichtlinie anzusehen?

Falls die Fragen 1. und/oder 2. bejaht werden, ergeben sich folgende Zusatzfragen:

  • Besteht für den Leiharbeitnehmer ein Anspruch auf Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem entleihenden Unternehmen, auch wenn das nationale Recht eine solche Sanktion vor dem 1. April 2017 nicht vorsieht?
  • Verstößt eine nationale Regelung wie § 19 Abs. 2 des AÜG dann gegen Art. 1 der Leiharbeitsrichtlinie, wenn sie erstmals ab dem 1. April 2017 eine individuelle Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten vorschreibt, vorangegangene Zeiten der Überlassung aber ausdrücklich unberücksichtigt lässt, wenn bei Berücksichtigung der vorangegangenen Zeiten die Überlassung als nicht mehr vorübergehend zu qualifizieren wäre
  • Kann die Ausdehnung der individuellen Überlassungshöchstdauer den Tarifvertragsparteien überlassen werden? Falls dies bejaht wird: Gilt dies auch für Tarifvertragsparteien, die nicht für das Arbeitsverhältnis des betroffenen Leiharbeitnehmers, sondern für die Branche des entleihenden Unternehmens zuständig sind?
Die Rechtsache ist mit dem Aktenzeichen C-232/20 registriert. Jetzt bleibt abzuwarten, wie der EuGH entscheidet.

Fazit: Zukunft der Leiharbeit hängt vom EuGH ab
Von der Entscheidung des EuGH hängt möglicherweise die Zukunft der Leiharbeit in Deutschland ab. Wenn der Begriff „vorübergehend“ an den Arbeitsplatz geknüpft wird, der nur vertretungsweise besetzt werden darf, würde dies für Unternehmen, die Leiharbeitnehmer einsetzten, viele Probleme bereiten. Außerdem würden viele Veränderungen kommen, wenn der EuGH zu dem Ergebnis kommt, dass die Nichtberücksichtigung von Überlassungszeiten vor der AÜG-Reform gegen die Leiharbeitsrichtlinie verstößt. Sehr gravierend für die Zeitarbeit könnte die Antwort des EuGH über die Ausdehnung der Höchstüberlassungsdauer seitens der Tarifvertragsparteien sein. Wir bleiben dran und informieren Sie über die weiteren Entwicklungen zu dieser Rechtssache.


siehe auch unter: https://protag-law.com/voruebergehende-ueberlassung-von-leiharbeitnehmern-ueberlassungszeiten-vor-der-aueg-reform-eugh-vorlage-des-larbg-berlin-brandenburg-vom-13-05-2020-15-sa-1991-19/
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