Mehr Infos zum Urteil des EuGH vom 14.05.2020 - C-17/19

Mehr Infos zum Urteil des EuGH vom 14.05.2020 - C-17/19


Entsendebescheinigungen versus Schwarzarbeit?
EuGH Urteil vom 14.05.2020 – C-17/19

Sachverhalt: Ist eine Entsendebescheinigung hinsichtlich der arbeitsrechtlichen Vorschriften z.B. Schwarzarbeit bindend?
Im vorliegenden Fall befasste sich der EuGH mit der Frage über die Bindungswirkung von Entsendebescheinigungen für arbeitsrechtliche Vorschriften, z.B. Schwarzarbeit.

Eine in Frankreich ansässige Gesellschaft, Bouygues, erhielt Aufträge für den Bau eines Druckwasserreaktors. Für die Durchführung dieser Aufträge bildete sie eine Beteiligungsgesellschaft, die die Aufträge an eine Interessengemeinschaft als Unterauftragnehmerin weitervergab, an der unter anderem Welbond, eine ebenfalls in Frankreich ansässige Gesellschaft, beteiligt war. Diese Interessengemeinschaft bediente sich ihrerseits zum einen weiterer Unterauftragnehmer, darunter Elco, einer in Rumänien ansässigen Gesellschaft, und zum anderen der Atlanco Ltd, eines Leiharbeitsunternehmens mit Sitz in Irland, das über eine Tochtergesellschaft in Zypern und ein Büro in Polen verfügte.

Gegen drei Gesellschaften wurde ein Strafverfahren wegen Schwarzarbeit eingeleitet. Den ansässigen in Frankreich Gesellschaften (Bouygues und Welbond) wurde die Inanspruchnahme von Dienstleistungen von Schwarzarbeitern und unerlaubte Überlassung von Arbeitnehmern zur Last gelegt. Der ansässigen in Rumänien Gesellschaft (Elco) wurde Schwarzarbeit vorgeworfen.

Den Gesellschaften wurde vorgeworfen, dass sie in den Jahren 2008 bis 2012 im französischen Hoheitsgebiet Arbeitnehmer beschäftigt hatten, die vor ihrer Einstellung bei den zuständigen französischen Behörden nicht angemeldet waren. Für die Arbeitnehmer wurden keine Lohn- und Sozialabgabenerklärungen eingereicht wurden. Dies ist nach dem französischen Recht ein Fall von Schwarzarbeit. Die Arbeitnehmer verfügten aber über sogenannte Entsendebescheinigungen (E 101 bzw. A 1),  wonach betreffende Arbeitnehmer im Bereich der sozialen Sicherheit für die Gewährung von Leistungen den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats unterliegen, in dem diese Bescheinigungen erstellt sind.

Die Sache kam vor den Kassationshof, weil die angeklagten Gesellschaften geltend gemacht haben, dass die Wirkungen der Entsendebescheinigungen verkannt wurden. Der Kassationshof setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH die Frage über die Bindung von Entsendebescheinigungen vor.

Frage an den EuGH: Erstreckt sich die Wirkung von Entsendebescheinigungen auf Meldungen zu Vermeidung von Schwarzarbeit?
Im Ausgangsverfahren spielt eine Meldung vor der Einstellung eine zentrale Rolle, die von den französischen Behörden verlangt wird.

Das vorlegende Gericht wollte wissen, wie sich diese Entsendebescheinigungen auf die Pflicht zur vorherigen Meldung und damit auf die Bedeutung dieser Bescheinigungen für die Geltung der arbeitsrechtlichen Vorschriften des Aufnahmemitgliedstaats für die betreffenden Arbeitnehmer auswirken. Daher wollte der Kassationshof wissen, ob die ausgestellten Entsendebescheinigungen nicht nur hinsichtlich der sozialen Sicherheit, sondern auch hinsichtlich des Arbeitsrechts z.B. in Bezug auf Schwarzarbeit bindend sind.

Entscheidung des EuGH: Entsendebescheinigungen sind nicht für die arbeitsrechtlichen Vorschriften bindend
Der EuGH kam in seinem Urteil zu dem Ergebnis, dass die Entsendebescheinigungen nur hinsichtlich der sozialen Sicherheit bindend sind. Für die arbeitsrechtlichen Vorschriften, wie die Beurteilung von Schwarzarbeit, haben Entsendebescheinigungen keine Bindungswirkung. Beispielsweise erzeugen die Entsendebescheinigungen keine Bindungswirkung hinsichtlich der Verpflichtungen, die das Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, insbesondere die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer betreffen.

Der EuGH kam aber zu dem Ergebnis, dass das nationale Gericht zu klären hat, was die Vorschrift über die Meldung von Arbeitnehmern bezweckt. Hierzu sieht der EuGH zwei Lösungsmöglichkeiten.

1. Zum einen könnte die genannte Pflicht zwar formal im Arbeitsgesetzbuch vorgesehen sein, aber der Prüfung dienen, ob ein Arbeitnehmer einem Zweig des Systems der sozialen Sicherheit angeschlossen ist. Das heißt, die vorgesehene Pflicht bezweckt ausschließlich den Anschluss der betreffenden Arbeitnehmer an den einen oder den anderen Zweig des Systems der sozialen Sicherheit zu gewährleisten und damit lediglich die Beachtung der einschlägigen Rechtsvorschriften sicherzustellen.

In diesem Fall stünden die vom zuständigen Träger ausgestellten Entsendebescheinigungen einer solchen Meldepflicht grundsätzlich entgegen.

2. Zum anderen könnte aber diese Pflicht zur Meldung zumindest teilweise auch bezwecken, die Wirksamkeit der Kontrollen zu gewährleisten, die von den zuständigen nationalen Behörden durchgeführt werden, um die Einhaltung der nach den arbeitsrechtlichen Vorschriften vorgeschriebenen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen sicherzustellen. Somit betreffe der vorliegende Rechtsstreit nicht die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen in diesem Mitgliedstaat, sondern die Frage, ob sämtliche französischen arbeitsrechtlichen Vorschriften eingehalten worden seien oder ob Schwarzarbeit vorliegt.

In diesem Fall hätten diese Bescheinigungen keinerlei Auswirkungen auf die genannte Pflicht, die jedenfalls nicht zum Anschluss der betreffenden Arbeitnehmer an den einen oder anderen Zweig des Systems der sozialen Sicherheit führen kann.
Folglich ist es Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, was die Meldung vor der Einstellung bezweckt.

Fazit: Bindungswirkung von Entsendebescheinigungen nur für die soziale Sicherheit, nicht aber bei Schwarzarbeit gegeben
Aus dem Urteil wird deutlich, dass Entsendebescheinigungen zwar in Fragen der sozialen Sicherheit für die Gerichte und andere Behörden des EU-Mitgliedstaates, in den Arbeitnehmer entsendet werden, bindend sind. Im Grunde genommen geht es darum, dass die Sozialabgaben nur in einem  EU-Mitgliedstaat entrichtet werden. Die Entsendebescheinigungen stellen einen Beweis dar, dass Sozialabgaben für den jeweiligen Arbeitnehmer im EU-Mitgliedstaat, in dem Entsendebescheinigungen erstellt sind, bezahlt werden müssen. Als Folge müssen die Sozialabgaben im EU-Mitgliedstaat, in den Arbeitnehmer entsendet werden, nicht doppelt entrichten werden. Diese Bindungswirkung gilt aber nur für die sozialrechtlichen Vorschriften. Auf andere Verpflichtungen aus den anderen Bereichen, wie beispielsweise im Bereich Schwarzarbeit, sind Entsendebescheinigungen nicht bindend.

siehe auch unter: https://protag-law.com/entsendebescheinigungen-versus-schwarzarbeit-eugh-urteil-vom-14-05-2020-c-17-19/
Kontaktperson: Zu diesen und anderen Fragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Zögern Sie nicht und nehmen Sie Kontakt auf. Herr Rechtsanwalt Andorfer hilft Ihnen auch bei allen anderen Fragen rund um die Themen Fremdpersonaleinsatz, insbesondere Recht der Werkverträge und Zeitarbeit,  Arbeits- und Wirtschaftsstrafrecht, Deutsches und Europäisches Sozialversicherungsrecht sowie Europarecht. Ebenso berät Sie Herr Andorfer bei Fragen des Einsatzes von Selbständigen. Er berät Sie über die Durchführung Ihrer Tätigkeit, auditiert die Abläufe in Ihrem Betrieb wie bei einer Zollprüfung und hilft Ihnen die Risiken zu reduzieren. Sie erreichen ihn per E-Mail (andorfer@protag-law.com) und telefonisch unter 0621 391 80 10 – 0.


Share by: