230316 Zeitarbeiter können Urlaubsstunden bei der Berechnung von Mehrarbeitszuschlägen berücksichtigen, BAG - 10 AZR 210/19

Zeitarbeiter können Urlaubsstunden bei der Berechnung von Mehrarbeitszuschlägen berücksichtigen, BAG - 10 AZR 210/19


Sachverhalt: Zählen die Urlaubsstunden von Zeitarbeitern als geleistete Stunden für die Mehrarbeitszuschläge?


Im vorliegenden Fall stritten die Partei um Mehrarbeitszuschläge. Der Kläger war als Zeitarbeiter bei der Beklagten, einem Unternehmen der Zeitarbeit, tätig. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Manteltarifvertrag für die Zeitarbeit in der Fassung vom 17. September 2013 (MTV) Anwendung. Nach dem Tarifvertrag werden die Überstunden mit einem Mehrarbeitszuschlag in Höhe von 25% vergütet. 


Der Kläger arbeitete im April 2017, auf den 23 Arbeitstage entfielen, 121,75 Stunden und nahm zehn Tage Erholungsurlaub, für die die Beklagte 84,7 Stunden abrechnete und vergütete. Der Kläger vertrat die Auffassung, in die Berechnung des Schwellenwerts für Mehrarbeitszuschläge müssten alle in einem Monat abgerechneten Stunden, also auch solche für seinen genommenen Urlaub, einbezogen werden. Für den Monat August 2017 sei daher von insgesamt 206,45 geleisteten Stunden auszugehen. Damit überschritt er die Schwelle der geleisteten Stunden für 23 Arbeitstage und habe Anspruch auf Mehrarbeitszuschlag aus dem Tarifvertrag der Zeitarbeit.


Der Beklagte war jedoch der Auffassung, dass angesichts des klaren Wortlauts der tariflichen Regelung bei der Bemessung von Mehrarbeitszuschlägen nur tatsächlich gearbeitete Stunden, nicht aber Urlaubszeiten einzubeziehen seien.


Nachdem das Arbeitsgericht die Klage abwies und das Landesarbeitsgericht die Berufung zurückwies, verfolgte der Kläger sein Zahlungsbegehren mit der Revision weiter.


Entscheidung des Gerichts: Zeitarbeiter können Urlaubsstunden als geleistete Stunden ansehen


Das BAG kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger als Zeitarbeiter Anspruch auf Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen hat, da er zuschlagsauslösende Mehrarbeit geleistet hat.


Nach § 4.1.2. MTV sind Mehrarbeitszuschläge für Zeiten zu zahlen, die über eine bestimmte Anzahl geleisteter Stunden hinausgehen. Die tarifvertragliche Regelung ist so zu verstehen, dass nicht nur die tatsächlich geleisteten Stunden bei der Berechnung von Mehrarbeitszuschlägen, sondern auch zu vergütende Urlaubsstunden zu berücksichtigen sind. 


Hierzu verwies das BAG auf das Urteil des EuGH vom 13. Januar 2022 (C-514/20). Hierin stellte der EuGH fest, dass Art. 7 der RL 2003/88/EG im Licht von Art. 31 Abs. 2 GRC dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung in einem Tarifvertrag entgegensteht, nach der für die Berechnung, ob die Schwelle der zu einem Mehrarbeitszuschlag berechtigenden Arbeitszeit erreicht ist, die Stunden, die dem vom Zeitarbeiter in Anspruch genommenen bezahlten Jahresurlaub entsprechen, nicht als geleistete Arbeitsstunden berücksichtigt werden. Der EuGH hat zu Art. 7 der RL 2003/88/EG ausgeführt, dass das Recht auf bezahlten Jahresurlaub als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union - verbürgt in Art. 31 Abs. 2 GRC - anzusehen ist, von dem nicht abgewichen werden darf. Der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub soll es dem Arbeitnehmer ermöglichen, sich zu erholen und über einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zu verfügen. Die Schaffung eines Anreizes, auf den Erholungsurlaub zu verzichten, ist mit den Zielen von Art. 7 der RL 2003/88/EG unvereinbar. Das gilt für jede Praxis eines Arbeitgebers, die den Arbeitnehmer davon abhalten kann, den Jahresurlaub zu nehmen. 


Der in § 4.1.2. MTV angelegte Mechanismus zur Anrechnung von Arbeitsstunden, die für das Überschreiten einer bestimmten Schwelle, ab der Mehrarbeitszuschläge geschuldet sind, zu berücksichtigen sind, ist allerdings geeignet, einen Zeitarbeiter davon abzuhalten, Urlaub zu nehmen. Denn in dem Monat, in dem er Urlaub nehme, könne ein Mehrarbeitszuschlag trotz geleisteter Überstunden deshalb entfallen, weil die Urlaubsstunden bei der Berechnung des Schwellenwerts nicht berücksichtigt würden. Ein solcher Mechanismus ist nicht mit dem in Art. 7 Abs. 1 der RL 2003/88/EG vorgesehenen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub vereinbar.


Aus diesem Grund stellte das BAG fest, dass genommene und zu vergütende Urlaubsstunden bei der Berechnung der Mehrarbeitszuschläge zu berücksichtigen sind.


Fazit: Die bezahlten Urlaubsstunden werden bei der Berechnung der Mehrarbeit berücksichtigt


Aus dem Urteil des BAG wird ersichtlich, dass das BAG das Urteil des EuGH übernommen hat, nach dem die Urlaubszeit bei der Berechnung der Mehrarbeitszuschlägen berücksichtigt werden muss. Die Urlaubstunden zählen als geleistete Stunden, wenn der Arbeitgeber sie vergütet. Der unbezahlte Urlaub wird also bei der Berechnung der Mehrarbeitsstunden nicht berücksichtigt.


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