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Rechtsprechung des EuGH
zu der Entsendebescheinigung ( A 1-Bescheinigung bzw.  E 101 – Bescheinigung


Arbeitnehmer, die von dem Arbeitgeber ihres Heimatlandes in der EU in ein anderes EU-Land zur Arbeitsleistung entsandt werden, unterliegen im Zielland dann nicht der dortigen Sozialversicherung, wenn sie durch eine sogenannte A 1- Bescheinigung (früher E 101- - Bescheinigung) die Sozialversicherung in ihrem Heimatland nachwei-sen. Der EuGH hat in ständiger Rechtsprechung die Bindungswirkung der Entsendebescheinigung (A 1 – Bescheini-gung) für alle Behörden und Gerichte des Ziellandes bestätigt.

Die Bescheinigung wird von der zuständigen Stelle des Heimatlandes ausgestellt. In der Praxis ist mehrfach die Frage aufgetreten, was gelten soll, wenn die Kontrollbehörden des Ziellandes die Richtigkeit der Bescheinigung in Zweifel ziehen. Hierauf hat der EuGH in mehreren Entscheidungen geantwortet.
Wegweisend war die Entscheidung zum Rechtsfall Herbosch-Kiere vom 26. Januar 2006 (Rechtssache C-2/05). Hiernach ist die Entsendebescheinigung für alle Behörden des Ziellandes verbindlich: „Solange ... die ausgestellte Bescheinigung E 101 nicht von den Behörden des Ausstellungsstaats zurückgezogen oder für ungültig erklärt wird, bindet sie den zuständigen Träger und die Gerichte des Mitgliedstaats, in den die Arbeitnehmer entsandt worden sind. Folglich ist ein Gericht des Gaststaats dieser Arbeitnehmer nicht befugt, die Gültigkeit einer Bescheinigung E 101 im Hinblick auf die Bestätigung der Tatsachen, auf deren Grundlage eine solche Bescheinigung ausgestellt wurde, .... während der Dauer der Entsendung dieser Arbeitnehmer zu überprüfen. Im Falle des Zweifels ist die jeweils zuständige Stelle des Entsendelandes um Überprüfung zu ersuchen.

Damit war Rechtssicherheit hergestellt und die Überprüfungskompetenz des Entsendelandes gewahrt (vgl. hierzu auch Hansjürgen Tuengerthal: Die vielfach bewusst übersehene Bedeutung der EuGH-Entscheidung „Herbosch Kiere“, in: Blickpunkt Dienstleistung, 11/2012, S. 20-23; vgl. des weiteren auch Hansjürgen Tuengerthal / Janine Geißer: Umfassende Bindungswirkung auch bei Werkverträgen - EuGH zu Entsendebescheinigungen, in: Arbeit und Arbeitsrecht 02/2014).

Diese Rechtsprechung ist dann konsequent fortgesetzt worden in der Entscheidung vom 27. April 2017 „ A Rosa Flussschiff“ (Rechtssache C-620/15), in der Entscheidung gegen das Königreich Belgien vom 11. Juli 2018 (Rechtssache C-356/15) und zuletzt in der Entscheidung vom 6. September 2018 in der Sache „Alpenrind“ (Rechtssache C-527/16). Zur Entwicklung dieser Rechtsprechung ausführlich Frank Hennecke: Freiheit der Dienstleistung und nationalstaatliche Souveränität in der Europäischen Union, in: Rechtssicherheit und Freiheit im Europäischen Recht. Eine Festgabe für Carl Otto Lenz, Mannheim 2018, S. 63 ff. (75 ff.); Frank Hennecke / Christian Andorfer: Nationalstaatliche Souveränität und europäische Dienstleistungsfreiheit im Ausgleich, in: Zeitschrift für Europäisches Sozial- und Arbeitsrecht –ZESAR- 03/2019, S. 111-117).

Zweifel bestanden allerdings insoweit fort, als die Frage aufkam, was gefälschten oder betrügerisch erschlichenen Entsendebescheinigungen gelten solle. Hier hat der EuGH in der Entscheidung vom 6. Februar 2018 zum Fall „Altun u. a.“ (Rechtssache C-359/15) allerdings seine bisherige Rechtsprechung relativiert: Bei Verdacht der Fälschung darf auch das Entsendeland die Bescheinigung in Zweifel ziehen und in einem - immerhin - geordneten Verfahren überprüfen.

Nach hiesiger Fassung entwertet diese Entscheidung die bisherige Rechtsprechung und damit die Bindungswirkung der Entsendbescheinigung. Die darauffolgende de Entscheidung „Alpenrind“ mag zwar die Bindungswirkung im Regelfall noch weiter ausziehen und womöglich die Entscheidung im Falle „Altun“ wieder etwas zu kompensieren versuchen, der Zweifel bleibt. Die weitere Entwicklung wird abzuwarten sein.


(191021.1)

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